Jenseits weisser Vorstellungskraft? Afrofuturismus denkt Klimawandel und Neofaschismus zusammen

Kultur

Afrofuturismus ist wieder in aller Munde – spätestens seitdem der Hollywood-Blockbuster “Black Panther” (2018) zu einem der erfolgreichsten Filme der Geschichte avanciert ist.

7. Juli 2019
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Doch hinter der Idee liegen Jahrzehnte der Forschung, der politischen und kreativen Arbeit, die immer beinhaltet, Vorstellungen alternativer Zukünfte zu entwickeln. Im MORE WORLD-Interview spricht der Kulturwissenschaftler tobais c. van Veen über afrofuturistische AutorInnen, die sich mit dem Komplex des planetarische Zusammenbruchs, dem Neofaschismus, der weissen Vorherrschaft und dem Klimawandel befassen:

Siehst Du den Afrofuturismus als einen Ansatz, der direkt in politische Strategien (und soziale Bewegungen) eingebettet ist, die sich dem Klimawandel, beziehungsweise den damit verbundenen planetarischen Herausforderungen zuwenden?

Wir müssen zunächst verstehen, was mit Afrofuturismus gemeint ist – denn die Antwort, die ich hier geben möchte, ist, dass Afrofuturismus bereits ein sich entwickelndes globales Epistem ist, das seine eigenen politischen Strategien und sozialen Bewegungen vermehrt. Ein gutes Beispiel für letzteres ist das Black Speculative Arts Movement (BSAM), das 2019 sechzehn Treffen in fünf Ländern (darunter Kenia, Ghana, Nigeria, die USA und Kanada) geplant hatte.

Obwohl man den Afrofuturismus also als “Ansatz” betrachten kann, der oft über seine schwarze Science Fiction “Ästhetik” definiert wird (und der Schlüssel dazu ist die Verflechtung von Ästhetik mit Politik), kann er nicht verstanden werden, ohne sich Auswirkungen einer afrofuturistischen Weltanschauung zu vergegenwärtigen. Das reicht von Ethik, über Politik und Sein bis hin zur Zeitlichkeit.

Der Gründer des BSAM, Reynaldo Anderson, positioniert den Afrofuturismus beispielsweise in der Tradition der antikolonialen und antikapitalistischen panafrikanischen Politik, während andere den Afrofuturismus als sich kreuzende afro- und weltoffene Ansätze sehen. Daher müssen wir Afrofuturismus als eine eigene Formation, einen eigenen Diskurs, ein eigenes Instrumentarium, ein eigenes tool kit sehen, der die “Wege und Wurzeln” des schwarzen Atlantiks und dessen Wechselspiel von dekolonialer und antiimperialistischer Musik, Politik und Kunst (um Paul Gilroy heranzuziehen) als Ausgangspunkt nimmt, betrachten.

Wenn wir den Afrofuturismus auf diese Weise angehen, sehen wir, dass sein radikales schwarzes Imaginäres mehrere Science Fiction- sowie Texte der Phantastik umfasst. So etwa Octavia E. Butlers “Parables of the Sower/Talents” (1993/1998). Hier kommen Themen wie der planetarische Zusammenbruch, Neofaschismus, weisse Vorherrschaft und Klimawandel vor. Sie werden antizipiert und es werden Gegenstrategien angeboten. Tatsächlich ist die Rolle einer schwarzen Phantastik entscheidend für die Imagination und Darstellung neuer Zukünfte für einen sterbenden Planeten.

Was schwarze Phantastik besonders aufschlussreich macht, ist, wie hier die schwarze Identität oftmals bereits als entfremdet und die schwarze Existenz als dystopisch beschrieben wird. Daher sind seine postapokalyptischen spekulativen Erzählungen besonders stark für die Rekonfiguration von Beziehungen von Kapitalismus, Rassismus und Patriarchat, für die Vorstellung aller Fallstricke und Potentiale dessen, was kommen kann (und was bereits geschehen ist). Der Afrofuturismus ist also immanent politisch, indem er die Zeit selbst als Raum der Immanenz betritt und rekonfiguriert: Er befasst sich mit der Verbreitung alternativer Afrofuturen, obwohl sein “Futurismus” nichtlinear ist, sonder immer im Modus des ghanaischen Konzepts von Sankofa, was “zurückgehen und sie holen” bedeutet.

Der Futurismus des Afrofuturismus ist ein zyklischer Prozess, der die in der Vergangenheit begrabenen Futures (Sankofa) zurückholt und wiederverwendet, wobei er oft zu den ethnogotischen Symbolen und Motiven zusammengesetzter Traumata zurückkehrt, die den Akt der Inanspruchnahme der Zukunft neu in den Mittelpunkt stellen. Ein narrativer Prozess, den John Jennings und Kinitra Brooks als “Sankofarration” (in Brooks 2017) beschreiben. Gleichzeitig geht es der politischen Immanenz des Afrofuturismus darum, die anhaltende Hegemonie der weissen Fantasien, die sich als einzige Realität ausgeben, zu kritisieren und zu verdrängen.

Wie geht der Afrofuturismus mit der Digitalisierung um?

Der Afrofuturismus hat bei der Entwicklung kritischer und kreativer Reaktionen auf die Digitalisierung eine Vorreiterrolle gespielt. In den 90er Jahren wurde der Afrofuturismus von Alondra Nelson (2002) und anderen positioniert, um den neoliberalen Diskurs der “digitalen Kluft” anzugehen, die Gleichheit und Fortschritt an ein begrenztes Verständnis des technologischen Zugangs knüpft. Was afrofuturistische Perspektiven offenbaren – damals wie heute – ist, wie afrodiasporische Kulturen eine lange Geschichte der kreativen Umnutzung von Technologien haben, um Experimente in Lebens-, Ausdrucks- und Befreiungsformen durchzuführen, wie man in den schwarzen beschleunigungsorientierten Thesen von Kodwo Eshuns “Heller als die Sonne” (1999) sehen kann.

Eshun schrieb auf dem Höhepunkt der Rave-Kultur der 90er Jahre und versuchte, die affektiven Kräfte der schwarzen elektronischen Musik zu verstärken, die die Grenzen zwischen Schwarzheit/Körper/Maschine und Android/Alien destabilisieren. Im Umgang mit dem Afrofuturismus denke ich an den schwarzen spekulativen Rahmen, in dem Remix-Kultur, Turntablismus, Mashups und Hip-Hop stattfinden. So können wir uns vorstellen, wie der Afrofuturismus die Modi für die Hacker der Digitalisierung des Alltagslebens entwirft, insbesondere indem er kapitalistische Formen des Urheberrechts und des Eigentums herausfordert.

Wie sieht es im Kontext von Musik und Film aus?

Seit der Erfindung jamaikanischer Soundsysteme und Bronx-Blockpartys ist der DJ zum neuen Griot, zum akustischen Geschichtenerzähler und Zukunftshistoriker geworden, der kulturelle Archive neu nutzt und Aufzeichnungstechnologien kreativ zweckentfremdet, um neue Formen der sozialen Zugehörigkeit zu artikulieren. Hier geht es nicht um eine ludditische Ablehnung der Technologie oder eine unkritische Umarmung der Silicon-Valley-Ideologie, sondern um das Basteln, Hacken und (Um)nutzen der soziotechnischen Sphäre als Teil eines afrofuturistischen Programms der Gegenwirklichkeitsproduktion und des historischen Revisionismus, bei dem Science Fiction afrozentrische Erzählungen als fantasievolle Orte der Intervention einsetzt.

Eshuns Filme mit der Otolith Group sind in dieser Hinsicht bezeichnend, ebenso wie John Akomfrahs “Last Angel of History” (1996), Wanuri Kahius “Pumzi” (2010), Julie Dashs “Daughters of the Dust” (1991) und, wenn ich so sagen darf, mein eigener Kurzfilm “Lost Alien” (2018), der dokumentarische Techniken mit stummen und surrealistischen Filmen verbindet, um das afrofuturistische Kosmos von ZiggZaggerZ the Bastard als lichtempfindliches schwarzes Alien auf einem sonnenbeschienenen Planeten einzufangen.

Und natürlich – um zur Frage der Migration zu kommen – befasst sich der Afrofuturismus mit der “erzwungenen Migration” der atlantischen Sklaverei und ihren dystopischen Nachbeben, die die gegenwärtige schwarze Existenz durchdringen – was Public Enemy als “Armageddon in effect” bezeichnet (siehe Sinker 1992; van Veen 2015). In dieser Hinsicht ergänzt der Afrofuturismus den Afropessimismus, indem er den sozialen Tod als Nachbeben der Sklaverei anerkennt – allerdings als Ausgangspunkt für eine spekulative Schwarzheit, die versucht, der Nekropolitik zu entgehen und sie zu besiegen.

Gibt es eine afrofuturistische Renaissance?

Es ist interessant zu sehen, wie der Begriff in der 21C-Popkultur wieder auftaucht, um Hollywood-Superhelden-Franchise wie Marvel's Black Panther zu beschreiben. Und ich sage “wieder auftauchen”: Der Begriff hatte in den 90er Jahren als Teil der schwarzen Cybertheorie eine kritische und phantasievolle Bedeutung, insbesondere durch den von Alondra Nelson und Paul D. Miller, aka DJ Spooky, gegründeten Afrofuturismus-Listserv. Aber bevor wir fortfahren, möchte ich eine gewisse Vorsicht walten lassen – denn vieles hängt davon ab, wie man den Afrofuturismus wahrnimmt.

Heute wird der Afrofuturismus gewinnbringend in die Unterhaltung und das Spektakel integriert, gerade durch die beunruhigenden – das heisst feierlichen und unterhaltsamen – Mythologien der Superhelden-Franchise und ihre Retter-Narrative im Sinne des manifest destiny. Natürlich ist es entscheidend, dass die Bedeutung von Black Panther genau darin liegt, schwarze radikale Träume von einer Zukunft, die ansonsten von der weissen Herrschaft abhängt, verbreitet. Es ist auch ein Beispiel dafür, wie das schwarze Imaginäre und schwarze Repräsentation in Hollywood Profit sichern kann – eine Perspektive mit positiven und negativen sozialen Auswirkungen.

Aber ich möchte, dass die Leser*innen wissen, dass es schon lange vor Black Panther etwa drei Jahrzehnte Wissenschaft, Literatur, Musik und Kunst über die gesellschaftspolitischen Kräfte der schwarzen spekulativen Praxis gegeben hat, die meisten davon lange bevor Hollywood beschloss, einen Film aus einem Comic zu machen, der zwar einflussreich und manchmal tiefgründig war, insbesondere mit den jüngsten Erzählungen von Ta-Nehisi Coates und Nnedi Okorafor, aber dennoch von zwei Weissen Männern, Stan Lee und Jack Kirby, kreiert wurde.

Dies soll Lee und Kirby's Versuch, einen nicht-weissen Superhelden zu erfinden, nicht diskreditieren – Monate bevor die Black Panther Party for Self-Defense 1966 von Huey Newton und Bobby Seale in Oakland gegründet wurde! – aber es geht auch darum, mein eigenes Weisssein bei der Beantwortung dieser Fragen und die whiteness des Paradebeispiels des Afrofuturismus heute hervorzuheben. Auch um zu zeigen, was hier auf dem Spiel steht, wenn es darum geht, das, was wir unter Afrofuturismus verstehen, kritisch zu positionieren, bevor wir es in den Dialog mit anderen Kämpfen, Themen und Bewegungen stellen.

Die 1990er Jahre waren ein entscheidender Moment: Das erste Mal, dass der Begriff Afrofuturismus in unser Blickfeld rückte, war durch die Arbeit des Kulturkritikers Mark Dery. Damals wurde uns auch bewusst, dass die Geschichte des Afrofuturismus eine komplexe und komplizierte ist – vor allem durch John Corbett. Dery's “Flame Wars” (1994) und Corbett's “Extended Play” (1994) sind immer noch unverzichtbare Bücher. Wie ist es bei dir?

Hier möchte ich kurz auf die Geschichte und Rezeption des Begriffs “Afrofuturismus” zurückkommen, der 1992 zwar zunächst von Mark Dery geprägt wurde, aber bereits damals, mit ganz verschiedenen Begriffen von Greg Tate, Amiri Baraka, Mark Sinker, Tricia Rose, Octavia E. Butler und Samuel R. Delany diskutiert wurde. Diese Kulturtheoretiker*innen und Schriftsteller*innen sprachen oftmals vom “schwarzen Futurismus” – wegen der Persistenz von schwarzen Science-Fiction-Motiven in Literatur, Comix und Musik – insbesondere ging es dabei um die performative schwarze Technopoesie von Sun Ra, Lee “Scratch” Perry, Parlament/Funkadelic, Grace Jones, Ramm:ell:zee und Afrika Bambaata.

Dery hat den Begriff Afrofuturismus als ein Provisorium eingeführt. Ich las seinen Aufsatz damals so, als würde er den Begriff “Afrofuturismus” als vorläufigen Titel für eine noch kommende Bewegung verstehen, die die verschiedenen Ausdrucksformen der schwarzen spekulativen Kunst aus der gesamten Afrodiaspora umfassen würde. Sein Begriff findet durchaus Anklang in Amiri Barakas Schriften von 1974 über AfroSurrealismus. Der Begriff Afrofuturismus lenkt unsere Aufmerksamkeit vor allem auf Sci-Fi-Aspekte.

Die zeitgenössische Popkritik begnügt sich oft mit Derys vorläufiger Definition und stellt kaum eigene Nachforschungen an, die darüber hinausgehen würden. Doch Derys Begriff muss im Entstehungskontext gesehen werden – er beruht auf einer Reihe von Interviews mit Tate, Rose und Delany. Heute sollten wir Afrofuturismus nicht als blosse Beschreibung sehen, sondern als energetisches Verb, welches die Ausformung einer schwarzen agency vorantreibt – er wurde von sich entwickelnden Bewegungen, Künsten und Menschen übernommen, überall von Praktizierenden eingesetzt, in verschiedenen Kontexten neu definiert und für bestimmte Zwecke mobilisiert. Er wurde auch immer wieder modifiziert und in Frage gestellt.

Wie genau sieht dieses Weiterdenken des Afrofuturiusmus aus?

Zum Beispiel hat etwa D. Scot Miller die Denkweise Barakas in The AfroSurreal Manifesto (2009) weiterentwickelt, und Valorie Thomas spricht von Afrxfuturism, um sich mit dem intersektionellen, queeren schwarzen Feminismus und dem “diasporischen Schwindelgefühl” auseinanderzusetzen (vgl. Thomas 2018).). So beherbergt Afrofuturismus alle möglichen historischen und kulturellen Spannungen, die für seine Dynamik konstitutiv sind – entstehende politische Spannungen zwischen schwarzem Nationalismus, Panafrikanismus und Kosmopolitismus zum Beispiel, sowie Kämpfe um Gerechtigkeit und Gleichheit, Anerkennung und Identität, die sich entlang der Achsen von Essentialismus, Beschleunigung und Konstruktivismus abspielen.

Die erneute globale Mobilisierung spekulativer Schwarzheit im 21. Jahrhundert wurde von Reynaldo Anderson als Afrofuturismus 2.0 (2015) bezeichnet. Wenn ich von Anderson zusammenfassen darf, sind drei Punkte entscheidend für die 21C-Formierung des Afrofuturismus: (1) er trägt zur Entfaltung einer Posthumanität bei, die sich weigert, an den Universalismus der weissen Aufklärung gebunden zu sein (mit oder ohne Fortschrittserzählungen); (2) er funktioniert in Form von Chronopolitiken, was Eshun das afrofuturistische “Programm zur Wiederherstellung der Geschichten von Gegenzukünften” (2002, 288) nennt, wobei der Afrofuturismus die Vergangenheit neu erfindet, um schwarze Zukünfte in die Entfaltung der Gegenwart zu integrieren; und (3) er beinhaltet eine Erweiterung des Begriffs, welche die “Sklavenmentalität” hinter sich lässt und die schwarze Existenz für eine Posthumanität im Allgemeinen öffnet – das wird bei John Jennings “Astro-Blackness” genannt (Anderson and Jones 2016, vii). Integriert werden hier die Modi eines kosmischen schwarzen Bewusstseins, sowie schwarze feministische, queere und intersektionale Identitäten.

Tatsächlich positionieren Anderson und Jones Astro-Blackness als eine Auseinandersetzung mit dem Übergang von einem “nationalstaatlich gebundenen analogen Begriff der Schwarzheit” hin zu “einer digitalisierten Ära in Richtung und im Spannungsfeld postdigitaler Perspektiven als globale Antwort auf die planetarischen Herausforderungen des schwarzen Lebens” (2016, viii). An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Anderson und Jones den Afrofuturismus 2.0 bereits als mit “Migration, menschlicher Reproduktion, Algorithmen, digitalen Netzwerken, Softwareplattformen, biotechnischer Augmentation und rassifizierten Identitäten, die sich zunehmend gegenüber dem aktuellen technologischen Fortschritt materialisieren” verwoben betrachten und behandeln.

Die Bewältigung dieser planetarischen Herausforderungen war für die Philosophie, die Politik und die Künste rund um den Afrofuturismus von zentraler Bedeutung – gerade weil sich seine Perspektive auf den exoplanetaren Bereich verlagert, sei es Dr. Octagons Jupiter oder Sun Ra's Saturn. Hier wird die Welt sowohl als Zuhause sowie als selbstgemachte Hölle betrachtet. Afrofuturismus betreibt in diesem Sinne exoplanetarische Politik. Er distanziert uns davon, der angenommenen besonderen Funktion des Menschen verpflichtet zu sein. Wie Sun Ra einmal über Nuclear War (1983) sagte: “don't you know / if they push that button / your ass gotta go / what you gonna do / without your ass?”

Um auf den Zusammenhang zwischen Klimawandel, Migration und Digitalisierung zurückzukommen: Welche Impulse aus dem Kontext des Afrofuturismus hältst du für die innovativsten, um Alternativen und Kooperationsformen in der Ära der planetarischen Unruhen zu schaffen?

Wenn wir darüber nachdenken, Alternativen zu schaffen, beginnt die afrofuturistische Alternative auf der Ebene dessen, was es bedeutet, ein Wesen auf diesem Planeten zu sein – das heisst, was es bedeutet, etwas anderes zu werden als ein Objekt der weissen Vorherrschaft, etwas anderes als eine verbrauchbare Ressource für das Kapital.

Hier bietet der Afrofuturismus nicht nur wichtige theoretische und künstlerische Impulse, sondern auch eine Praxis in der Entwicklung des schwarzen Posthumanismus – oder besser gesagt, des Exhumanismus. Ebenso im Hinblick auf die Forderung nach innovativen Formen der Zusammenarbeit: Wir müssen darüber nachdenken, wer sich welcher Kooperative anschliesst und unter welcher Massgabe über liberale Gleichheitsgrundsätze oder sozialistische Grundsätze der wirtschaftlichen Gerechtigkeit gesprochen wird.

Durch die Infiltration des Afrofuturismus in das populäre Unbewusste durch schwarze Popmusik, Remix-Kultur und Science-Fiction wird nur eine der gesellschaftspolitischen Kräfte seiner vielseitigen Imagination offenbar. Doch genau das ist vielleicht die stärkste: Er sät Afrofutures, dort, wo noch gar nicht darüber nachgedacht wird, wessen Zukunft auf dem Spiel steht. Wenn der Afrofuturismus, auch als “Ästhetik”, in den populären Diskurs eintritt, neigen seine schwarzen spekulativen Zukünfte und revisionistischen Geschichten dazu, zu hinterfragen, von wessen Weltbild “wir” sprechen – von wessen sozialen Bewegungen, wessen Politik, wessen “wir”?

Natürlich muss diese Frage immer gestellt werden!

Ich sage das zumindest, um zu signalisieren, wie der Afrofuturismus die Aufmerksamkeit auf die Zukunft lenkt, aber auch auf Vergangenheit und Gegenwart von Schwarzheit, der schwarzen Imagination und race im Allgemeinen auf den politischen Kampf, der alles zu kritischen Fragen der Klasse zusammenführt – nämlich wer hat eigentlich Zugang zu angeblich universellen Idee der Zukunft? Der Afrofuturismus hinterfragt Klasse als Grundlage für gesellschaftspolitische Organisation, indem er Rasse kritisch als eine weisse supremazistische Ordnungsfunktion versteht, die das Anthropozän in Menschen, Untermenschen und Nicht-Menschen einteilt. Kurz gesagt, man kann nicht Teil einer revolutionären Klasse sein, wenn man von vornherein von der Kategorie des Menschen ausgeschlossen ist.

Der Afrofuturismus weist auf den ungleichmässigen Einsatz der Rassifizierung als strukturelles Mittel hin, um festzustellen, wer oder was zur Verfügung steht. Wenn man also darüber nachdenkt, wie man die Klasse positioniert – nicht ihre analytische Negation, sondern ihre strategische Ergänzung, wie es ihre ausschliessende Geschichte erfordert -, bietet der Afrofuturismus so etwas wie einen Fluchtplan aus der Hierarchie des Humanismus und seiner Grossen Kette von Wesen, von denen die meisten in der “Arbeitsfalle” schmoren.

“Break the chains of being – embrace becoming” mag ein eher schwerfälliges philosophisches Meme sein, aber es bedeutet eben, dass wir alle an uns selbst arbeiten müssen. Bevor du mit den anderen zusammenarbeitest, wer/welches Andere wirst du? An wessen Zukunft arbeiten “wir” alle mit? Anstatt dem Afrofuturismus die Last aufzubürden, auf diese Frage zu antworten, sollten wir uns vielleicht fragen, wie die gegenwärtigen europäischen Sozialbewegungen ihrerseits Zukunft jenseits der Parameter Migration, Klima und Digitalisierung angehen können.

Wenn ich also hier über den Afrofuturismus spreche, dann im Kontext der kulturellen und gesellschaftspolitischen Kämpfe einer Afrodiaspora, die über Jahrhunderte europäischer und amerikanischer Sklaverei und Kolonisierung zwangsläufig verstreut ist. Der Afrofuturismus setzt sich mit dieser Geschichte auseinander und versucht, ihren destruktiven Auswirkungen durch die unzähligen Praktiken der spekulativen blackness entgegenzuwirken, die in erster Linie das Imaginäre dekolonisieren.

Alles in allem geht es doch darum, die kapitalistische Dezimierung der planetarischen Zeit so zu begrenzen, dass es mehr Zeit gibt, eine andere Zeit (für den Anderen), um anders zu handeln, anders zu sein und zu werden. Es geht um nichts Geringeres als den Abbau des Kapitalismus, des Patriarchats, der weissen Vorherrschaft, in dem radikalen Traum von einem zukünftigen Planeten Erde, auf dem wir nicht mehr an die Idee gebunden sind, Mensch zu sein.

Tobias c. van Veen
berlinergazette.de

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